Wer bin ich?

Als Kind lag ich sehr oft im Gras und habe in den Himmel geschaut. Einfach so. Stundenlang. Dabei habe ich mich immer wieder gefragt:
"Wer bin ich?"
Es war ein Spiel, das mir Spaß machte und manchmal - wenn ich mich richtig fallen lassen konnte - fast wie eine Meditation gewirkt hat. Es hat meinen Geist auf eine andere Ebene gehoben ohne dass ich wusste warum. Im Alter von 20 Monaten wurde ich von einem Deutschen Ehepaar adoptiert. Mein Geburtsort ist die Hauptstadt von Sri Lanka. Colombo. Ich finde es heute noch recht exotisch, wenn ich diese Antwort geben kann. Es erfüllt mich ein bisschen mit Stolz anders zu sein. Wobei, das war ich immer.
Ich wuchs in einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg auf. Umgeben von Weinbergen, Bauernhöfen und Feldern. Es war eine tolle Kindheit! Ich war viel draußen und fühlte mich komplett in die Dorf- und Schulgemeinschaft integriert.
Und trotzdem: irgendetwas fehlte....
Aber was? Immer, wenn ich neben meiner Mutter im Bad stand und uns beide im Spiegel gesehen habe, dann habe ich mich gefragt, woher wohl meine Augen kommen, von wem ich meine Augenbrauen oder meine Nase habe. Ich habe etwas gesucht. Und es hat recht lange gedauert, bis ich selbst verstanden habe, dass es meine Identität ist, die ich suche. Die mir fehlt.
Das war eine schmerzhafte Erkenntnis. Denn es war mir sofort klar, dass ich auf meine Fragen nie eine Antwort bekommen würde. Meine leibliche Mutter war tot und von meinem leiblichen Vater wusste ich überhaupt nichts. Also schaute ich weiter in den Spiegel, stellte mir unbeantwortbare Fragen und drehte mich im Kreis...
Die Frage nach der eignen Identität begleitet Adoptierte ein Leben lang. Zu verstehen, dass die eigenen Augen, die Haarfarbe oder das Lachen nicht von den Eltern stammen, die man als seine Eltern betrachtet, ist schmerzhaft. Immer. Und es hinterlässt Spuren für den Rest des Lebens.
Denn ein Gedanke ist der allbestimmende: Ich bin verlassen worden! Und er wird immer von der Angst begleitet, dass es wieder passieren könnte. Dass ein geliebter Mensch mir den Rücken zukehrt und mich alleine lässt. Verlustängste, Bindungsprobleme und das stände Gefühl nicht zu genügen begleiten Adoptierte oft ein Leben lang. Es ist unglaublich schwer sich von diesen Ängsten zu lösen. Positive Beziehungserfahrungen anzunehmen und an sich selbst zu glauben. Aber es kann funktionieren.
Denn auch ich kenne all diese Gefühle, diese Zweifel und diese Ängste. Aber ich kenne auch das wunderbare Gefühl angekommen zu sein. Bei mir selbst und in meinem Leben. Heute weiß ich wer ich bin und muss mir diese Frage nicht mehr stellen. Ich kann glücklich sein - auch ohne Antworten. Denn ich habe verstanden, dass die Frage nach der eigenen Identität hauptsächlich aus dem eigenen Inneren heraus beantwortet werden kann.
Und wenn diese Antwort dann gefunden ist, dann ist sie der kraftvollste Antrieb für ein glückliches und erfülltes Leben!